Die Arbeitswelt verschiebt Grenzen: Dienstreisen werden häufiger verlängert, Homeoffice-Phasen zeitweise ins Ausland verlegt. Für Unternehmen ist das kein “nice to have”, sondern ein Hebel für Arbeitgeberattraktivität, Bindung und Produktivität. Die politische Diskussion unterstreicht den Rückenwind: Der Tourismusausschuss des Bundestags hat sich am 4. Dezember 2024 mit „neuen Arbeits- und Urlaubsformen“ befasst. Branchenvertreter sehen klare Umsatzpotenziale und eine wachsende Rolle professioneller Geschäftsreisebüros als Umsetzungspartner für Richtlinien, Prozesse und Beratung.
Begriffe trennen
Bleisure ist eine Dienstreise, die Beschäftigte um private Zeit ergänzen, ob zwei Abende Kulturprogramm oder ein kurzer Wochenend-Stopp. Der Zielort bleibt dienstlich motiviert. Workation dagegen meint: reguläre Arbeit aus einer (meist) selbst gewählten Urlaubsregion, oft über Wochen.
Wer intern sauber trennt, verhindert Missverständnisse: Welche Tätigkeiten sind erlaubt? Welche Zeitzonen? Welche Erreichbarkeit? Wer trägt welche Kosten? Und wie werden Ergebnisse dokumentiert?
Für beide Modelle gilt: Erwartungen früh klären. Führung, HR, Reisemanagement und IT sollten gemeinsam definieren, wofür die Formate stehen (Erholung plus Netzwerkzeit bei Bleisure, konzentriertes Remote-Arbeiten bei Workation) und wie sie zu Team-Zielen passen.
Recht, Fürsorge und Compliance
Damit Bleisure und Workation stabil laufen, brauchen Unternehmen verlässliche Leitplanken:
- Sozialversicherung & A1-Bescheinigung (EU/EWR/CH): Arbeiten Beschäftigte vorübergehend im europäischen Ausland, ist in der Regel eine A1-Bescheinigung nötig. Sie dokumentiert, welches Sozialversicherungsrecht gilt. Ohne A1 drohen Lücken – etwa bei Gesundheitsleistungen.
- Kostentrennung nach § 13 BRKG: Wird eine Dienstreise privat verlängert, ist die Reisekostenvergütung so zu bemessen, als ob nur die Dienstreise stattgefunden hätte. Mischkosten sind sachgerecht aufzuteilen (z. B. zeitanteilig). Das schafft Transparenz für Steuer, Controlling und Mitarbeitende.
- Fürsorge & Reiserisiko: Notfallkontakte, medizinische Versorgung am Ziel, Datensicherheit (VPN, verschlüsselte Endgeräte) und die Option auf Travel-Tracking mit klarer Einwilligung sind Pflichtprogramm.
- Fluggastrechte mitdenken: Die operative Resilienz steigt, wenn Teams wissen, in welchen Situationen eine Flugverspätung Entschädigung ab wann gilt. Dieses Wissen gehört in jede Kurz-Checkliste für Reisende und lässt sich auf Plattformen wie AirHelp jederzeit auffrischen.
Interne Richtlinie: schlank, verständlich, anwendbar
Erfolgreiche Unternehmen formulieren keine Bleisure-„Bibel“, sondern eine präzise, leicht verständliche Richtlinie, ergänzt um praxisnahe Checklisten.
Zentrale Inhalte sind darin:
- Genehmigungsprozess: Antrag (Ziel, Zeitraum, Zeitzone), Tätigkeitsprofil, Homeoffice-Eignung. Für Workation: Arbeitszeiterfassung, Erreichbarkeit, Datenschutzmaßnahmen.
- Kostenlogik: Dienstlich vs. privat, Umgang mit Mischkosten (Flug/Hotel), Buchungskanal (z. B. über das Geschäftsreisebüro) und Belegführung.
- Versicherung & Haftung: Welche Policen gelten wann? Wer kümmert sich um Zusatzschutz (z. B. Auslandskrankenversicherung)?
- IT-Sicherheit: Mindeststandards (aktuelles OS, Festplattenverschlüsselung, Passwortmanager, MFA), Umgang mit sensiblen Daten in öffentlichen Netzen.
- Arbeits- und Steuerrecht: Klare Hinweise, welche Länder unkritisch sind (EU/EWR/CH) und wo zusätzliche Prüfungen nötig werden (z. B. mögliche Betriebsstätten- oder Registrierungspflichten bei längeren Workations).
Bewährt hat sich, die Richtlinie eng mit dem bestehenden Reisemanagement zu verzahnen: Geschäftsreisebüros (mit touristischer Kompetenz) können als zentrale Partner Anträge prüfen, Tarife optimieren, Risiken monitoren und bei Unregelmäßigkeiten schnell unterstützen, von Umbuchung bis Hotelwechsel.
Umsetzung: vom Piloten zur Skalierung
Starten Sie mit einem mehrmonatigen Pilotprojekt in zwei bis drei Teams. Metriken definieren (siehe unten), Feedback einsammeln, Richtlinie justieren – dann schrittweise ausrollen. Elemente für den Alltag:
- Digitale Antragstrecke: Self-Service-Formular inkl. A1-Hinweis, Länderauswahl, IT-Checkliste und Kostenlogik.
- „Reisen + Arbeiten“-Kalender: Sichtbarkeit im Team reduziert Reibung (Zeitzonen, Kernzeiten, Übergaben).
- Partnerlandschaft: Kuratierte Unterkünfte mit stabilem Internet, ergonomischem Arbeitsplatz oder nahegelegenen Coworking-Spaces.
- Schulung: Kurzmodule für Führungskräfte („Ergebnisse statt Präsenz“), Mitarbeitende (Eigenverantwortung, Datensicherheit) und Travel-Owner (Reiserisiko, Umbuchen, Entschädigungen einfordrn).
- Kontingenzpläne: Was passiert bei Streik, Unwetter, Systemausfall? Wer entscheidet über Verlängerung, Abbruch, Alternativrouten?
Kurz-Checkliste vor Abreise
- A1-Bescheinigung nötig? Versicherungen geprüft (Auslandskranken-, Unfall-, ggf. Gepäck)?
- IT-Setup getestet: VPN, MFA, stabile Videocalls; Notfall-Hotline gespeichert.
- Kostentrennung geklärt: Was ist dienstlich, was privat? Belegregeln verstanden (§ 13 BRKG).
- Arbeitsorganisation: Zeitzone, Kernzeiten, Vertretung, Datenschutz am Arbeitsplatz (Blickschutz, Clean Desk).
- Plan B: Alternativflug/-zug und Unterkunft bekannt; Anspruch auf Ausgleichszahlung im Verspätungsfall verstanden.
Kennzahlen für HR & Controlling
Nutzung & Zufriedenheit: Anteil genehmigter Anträge, Net-Promoter-Wert der Reisenden, wahrgenommene Produktivität.
Performance & Kosten: Ticket-Flex-Zuschläge vs. Umbuchungsersparnis, durchschnittliche Bearbeitungszeit von Störungen, Anteil richtlinienkonformer Buchungen.
Sicherheit & Compliance: Vollständigkeit A1-Nachweise, IT-Vorfälle (Null-Fehler-Ziel), dokumentierte Notfallfälle und Reaktionszeiten.
Wirkung aufs Recruiting: Erwähnung im Employer Branding, Anteil Bewerbender, die Bleisure/Workation als Grund angeben.
Wer so vorgeht, verbindet Arbeit und Erholung verantwortungsvoll und hebt die Potenziale der neuen Reisewelt: bessere Erreichbarkeit vor Ort, mehr Erholung ohne zusätzlichen Flug, motivierte Teams und belastbare Prozesse. Umfragen belegen die Nachfrage deutlich: Zwei von drei Geschäftsreisenden gestalten ihre Trips inzwischen an der eigenen Work-Life-Balance aus, jeweils rund vier von zehn nutzen Workation oder hängen an Geschäftsreisen private Tage an.